Amnesty International hält 2021 eine Mahnwache für Menschenrechte in Portugal.
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Amnesty: 2023 war ein schlechtes Jahr für die Menschenrechte

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Amnesty: 2023 war ein schlechtes Jahr für die Menschenrechte

Menschenrechte sind weltweit bedroht, wie seit langem nicht mehr. Das schreibt Amnesty International in seinem Jahresbericht. Betroffen ist vor allem die Zivilbevölkerung - egal ob in der Ukraine, dem Sudan, dem Gazastreifen oder beim Einsatz von KI.

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Weltweit sind Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte so bedroht, wie schon lange nicht mehr. Zu dieser Einschätzung kommt die Organisation Amnesty International in ihrem Jahresbericht. Seit Jahrzehnten habe es nicht mehr so viele Verstöße gegen das Völkerrecht und auch ganz grundlegende Rechte gegeben. Zahlreiche Regierungen beschädigten damit die internationale Ordnung und stellten die Universalität der Menschenrechte infrage, heißt es in dem Bericht. Dokumentiert wird darin die Situation in 155 Ländern.

Als konkrete Negativ-Beispiele nannte die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Julia Duchow, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, das Schweigen des Westens zu Chinas Menschenrechtsverbrechen gegenüber den Uiguren, das gezielte Töten von Zivilisten im sudanesischen Bürgerkrieg, aber auch den Umgang mit Israels Militäroffensive im Gazastreifen. Bedenken hat Amnesty aber auch beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz.

Amnesty: Moralische Doppelstandards im Gaza-Krieg

Duchrow betonte, die Hamas und andere bewaffnete Gruppen hätten mit ihrem brutalen Überfall auf Israel Kriegsverbrechen begangen. "Das Leid der Opfer ist durch nichts zu relativieren." Doch der israelische Militäreinsatz in Gaza habe jedes Maß verloren und gehe mit zahlreichen Kriegsverbrechen und Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht einher.

Auch die Bundesregierung trage zur Erosion der internationalen Ordnung bei, kritisierte Duchrow. Sie schweige zu den Kriegsverbrechen der israelischen Armee und verspiele damit ihre Glaubwürdigkeit. "Doppelstandards vertragen sich nicht mit der menschenrechtsbasierten Außenpolitik, die Annalena Baerbock angekündigt hat", kritisierte sie. Die Bundesregierung weigere sich, "die Kriegsverbrechen der israelischen Armee beim Namen zu nennen".

In Deutschland ist laut Amnesty Versammlungsfreiheit unter Druck

Deutschland wird in dem Bericht außerdem dafür kritisiert, Migranten nicht ausreichend vor Gewalttaten zu schützen. Insgesamt zeigten sich die globalen Negativ-Trends auch in Deutschland, heißt es. So erkenne Deutschland strukturellen Rassismus nicht ausreichend an und tue zu wenig, um Menschen vor Hasskriminalität zu schützen. Auch die Meinungs- und Versammlungsfreiheit stehe unter Druck. Ein Beispiel seien pauschale Verbote von Protesten, die sich solidarisch mit Palästinensern zeigten.

"Ganz schweres Geschütz" mit Hausdurchsuchungen, mehrwöchigem Präventivgewahrsam bis hin zu Ermittlungen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung sei gegen die Klimaaktivisten der Letzten Generation aufgefahren worden, beklagte Duchrow: "Das ist ein Angriff auf das Recht auf friedlichen Protest und die Zivilgesellschaft." Besonders problematisch sei Bayern, wo eine 30-tägige Präventivhaft verhängt werden könne.

Folter und gezielte Angriffe auf dicht besiedelte Gebiete in der Ukraine

Dass die auf Menschenrechten basierende internationale Ordnung offensiv infrage gestellt werde, zeige sich auch am russischen Angriffskrieg in der Ukraine. So greife Russland dicht besiedelte zivile Gebiete, die Energieinfrastruktur und Getreideexporte an, kritisiert Amnesty. Man habe auch den Einsatz von Folter und anderen Misshandlungen gegen Kriegsgefangene dokumentiert.

Größte Flüchtlingsbewegung weltweit im Sudan

Im Sudan verüben laut Amnesty International beide Konfliktparteien gezielte und wahllose Angriffe gegen Zivilisten. Der Machtkampf zwischen De-facto-Machthaber Abdel Fattah al-Burhan und seinem früheren Stellvertreter Mohamed Hamdan Daglo hat in den vergangenen zwölf Monaten die mittlerweile größte Flüchtlingskrise weltweit ausgelöst. Nach jüngsten Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks sind mehr als 8,6 Millionen Menschen innerhalb des Sudans und in den Nachbarländern auf der Flucht. Im Sudan herrscht eine der schlimmsten humanitären Krisen weltweit.

Frauenrechte weltweit unter Druck

In vielen Staaten habe es auch Rückschläge im Kampf für mehr Geschlechtergerechtigkeit gegeben. So hätten es Frauen in den USA immer schwerer, eine Schwangerschaft abzubrechen. In Afghanistan sei der Schulbesuch für Mädchen weiter eingeschränkt worden, im Iran gingen die Behörden mit zunehmender Härte gegen Frauen vor, die sich der Zwangsverschleierung widersetzten. Zahlreiche Regierungen schränkten die Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen sowie von trans- und intergeschlechtlichen Menschen (LGBTI+) ein. In 62 Ländern gebe es Gesetze, die gleichgeschlechtliche Handlungen kriminalisierten.

KI-Gesichtserkennung problematisch für Menschenrechte

Eine wachsende Herausforderung sieht Amnesty International auch beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Software wie ChatGPT, die Texte erstellt, könne etwa Hassreden gegen Frauen und Homosexuelle am Fließband produzieren und verbreiten.

Amnesty prangerte aber vor allem den Einsatz von Gesichtserkennung an. Die Bundesregierung habe ihr Versprechen noch nicht eingelöst, Gesichtserkennung im öffentlichen Raum zu verbieten, so Lena Rohrbach, Expertin für Menschenrechte im digitalen Zeitalter. Sowohl bei der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland als auch bei den Olympischen Spielen in Paris werde derzeit über den Einsatz von KI debattiert. "Dabei besteht die Befürchtung, dass dies dauerhaft ausgeweitet wird" In Russland würden bereits Kameras mit Gesichtserkennung genutzt, um etwa Teilnehmer an regierungskritischen Demonstrationen zu identifizieren, erläuterte sie.

Daneben komme es auch versehentlich zu Menschenrechtsverletzungen durch KI, etwa beim Einsatz von Algorithmen durch Behörden. In Serbien habe die Einführung eines automatisierten Systems dazu geführt, dass Tausende Familien zu Unrecht den Zugang zur Sozialhilfe verloren. "Eigentlich gibt es eine Frist, in der Menschen die Urteile überprüfen sollen, (...) aber de facto trifft die Entscheidung ein Algorithmus", erklärte Rohrbach.

Mit Informationen von dpa, AFP und epd.

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